Der BGH hat mit dem Urteil vom 28.06.2022 (AZ: II ZR 112/21) die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit konkretisiert. Bisher sah der BGH hierfür eine Liquiditätsbilanz vor, in der innerhalb von drei Wochen flüssig zu machende Finanzmittel (Aktiva II) den innerhalb von drei Wochen fällig werdenden, eingeforderten Verbindlichkeiten (Passiva II) gegenübergestellt werden. Die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung stellt nun klar, dass Zahlungsunfähigkeit nicht nur durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz, sondern auch durch einen stichtagsbezogenen Liquiditätsstatus in Verbindung mit einem Finanzplan für den Dreiwochenzeitraum dargelegt werden kann. Eine entscheidende Rolle bei Aufstellung des Finanzplans spielt die Fortentwicklung fälliger Verbindlichkeiten und verfügbarer Liquidität auf Basis des vorgesehenen Zahlungsverhaltens sowie die darauf aufbauende Erstellung von Plan-Liquiditätsstatus für den Dreiwochenzeitraum. Alternativ kann der Nachweis einer Liquiditätslücke (10%-Grenze als Schwellenwert) auch durch eine Aneinanderreihung mehrerer stichtagsbezogener Liquiditätsstatus im Dreiwochenzeitraum aufgestellt werden.
Der BGH lässt damit verschiedene rechnerische Modelle zu, mit deren Hilfe die Zahlungsunfähigkeit ermittelt werden kann. Diese Rechtsprechung wird mit dem am 27.09.2022 veröffentlichten Entwurf einer Neufassung des IDW Standards „Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen“ (IDW ES 11 n.F.) aufgegriffen und untermauert. Der IDW S 11 hat schon bisher die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit anhand eines Liquiditätsplans präferiert. Aufgrund des Volumeneffektes kommt es bei der Liquiditätsbilanz regelmäßig zu einer geringeren prozentualen Liquiditätslücke und damit zu einem tendenziell späteren Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Aus Sicht des Schuldners ist es nicht vollkommen unproblematisch, dass die Modelle zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Bestimmung der 10%-Grenze kommen und mögliche Haftungsgefahren hieraus resultieren könnten. Daher sollte der Schuldner die Liquiditätsentwicklung stets kritisch verfolgen und ggf. die Rechenmodelle miteinander vergleichen, um frühzeitig eine Zahlungsunfähigkeit erkennen zu können.
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